Stars Detail

Macht Fernsehen dumm? Oder kriegt die Nation doch einfach nur den den Schrott serviert, den sie sich wünscht? Satiriker

Macht Fernsehen dumm? Oder kriegt die Nation doch einfach nur den den Schrott serviert, den sie sich wünscht?

Satiriker Oliver Kalkhofe diskutiert mit Anwalt und Werbeikone Joachim Steinhöfel


TV SPIELFILM: Hans Meiser behauptete unlängst, zum Teil machten heute Leute Fernsehen, die das Wort "Fernsehen" nicht fehlerfrei schreiben können?
Oliver Kalkofe: Hans Meiser ist Legastheniker, aber er macht eine schöne Sendung. Inzwischen ist er ja der Saurier des Daily Talk, den keiner mehr ernst nimmt, der aber auch unangreifbar geworden ist.

Joachim Steinhöfel: Was diese Talkshows, die grauenhaft und schrecklich sind, immerhin bewirkt haben, ist eine Demokratisierung des Mediums. Vorher gab es nur Kulturmissionare, die uns vorgeschrieben haben: Das müsst ihr sehen, das müsst ihr wissen. Die Privatsender, insbesondere auch die Talkshows haben dazu geführt, dass nun das geistige Lumpenproletariat die Macht über die Sender gewonnen hat.

TV SPIELFILM: Fängt das schlechte Fernsehprogramm mit dem Trottel an, der es guckt, oder mit dem Sender, der den Zuschauer für einen Trottel hält?
Joachim Steinhöfel: Die Privaten brauchen Quote, weil sie sich über Werbung finanzieren. Also richten Sie sich danach, was die Idioten sehen wollen!

Oliver Kalkofe: Nur war es für einige Zeit vielleicht wirklich spannend, die Leute im TV zu sehen, denen man sonst den ganzen Tag lang versucht hat, aus dem Weg zu gehen. Inzwischen ist das nur noch langweilig!

Joachim Steinhöfel: Jetzt zieht man die Schraube an und sperrt sie alle im Container zusammen. Nicht nur eine Viertelstunde Dummköpfe auf einem Haufen, sondern 100 Tage. Da ist dann so ein KFZ-Mechaniker, der sich die Haare auf der Brust mit der Nagelschere wegkratzt, und die Leute jubeln ihm zu. Vielleicht erhöhen sie, indem sie das Mittelmaß auf den Thron heben, ihre eigene kleine erbarmungswürdige Existenz zu etwas Besonderem.

Oliver Kalkofe: : Das Schwierige ist nur, nach kurzer Zeit glaubt der dann selber, dass er ein Star ist und wirklich singen kann. Und die Plattenleute glauben es auch und lassen dann jeden, der auch nicht singen kann, eine Platte machen und verstehen nicht mehr, wo vielleicht am Anfang der Witz gesteckt hat.

Joachim Steinhöfel: Ich glaube nicht, dass man singen können muss, um eine Platte zu machen...

TV SPIELFILM: Sie nehmen selbst gerade eine CD auf?
Joachim Steinhöfel: Eben, da sehen Sie's ja.

TV SPIELFILM: Nimmt denn der TV-Irrsinn zu oder war er nicht schon immer da?
Oliver Kalkofe: Es wird einfach ein größeres Spektrum an Dummheit präsentiert. Wenn früher ein Trottel gezeigt wurde, konnte man darüber als Gag lachen. Heute ist es alltäglich geworden. Die erste Reality Show regte vielleicht noch einige auf, inzwischen gibt es davon aber 40. Deshalb muss man jetzt sehen, wie man noch einen drauf- setzt. "Girls Camp" ist "Big Brother mit Titten", als nächstes kommt sicher "Big Brother mit Ficken".

TV SPIELFILM: Eine Art "Girls Camp" mit Bingo waren ja die zwei Sendungen zum Thema "Wer heiratet den Millionär?"
Oliver Kalkofe: Das war die großartigste Sendung, die seit langer Zeit ausgestrahlt wurde. RTL und Sat.1 ist es gelungen, 100 Jahre Emanzipationsgeschichte in 90 Minuten mit einem Handstreich wegzuwischen und zu zeigen: Frauen sind alle, wie es unsere Väter immer gesagt haben, nur geil aufs Geld. Die heirateten jeden, der geradeaus laufen kann und eine goldene Kreditkarte hat.

Joachim Steinhöfel: Da müssen wir die Hoffnung ja auch noch nicht aufgeben.

Oliver Kalkofe: Deswegen habe ich mich auch so sehr gefreut.

TV SPIELFILM: Ist denn das Publikum blöd, weil es sich so etwas anguckt, oder bekommt es nur keine Alternativen geboten?
Oliver Kalkofe: Dummheit hat ja was mit Einfachheit zu tun, und für viele ist es natürlich schon einfacher, sich die blanken Möpse im "Girls Camp" anzugucken als einer Diskussion auf 3sat oder bei Arte zuzuhören.

Joachim Steinhöfel: Ich möchte der These widersprechen, dass Diskussionen, weil sie auf Arte oder 3sat stattfinden, zwangsläufig ein höheres Niveau haben als etwa eine Daily Talkshow, in der ein Proll etwas entlarvendes über den Zustand der Nation rauslässt.

Oliver Kalkofe: Doch die Kluft wird immer größer. Die sogenannten Intellektuellen werden immer stärker versuchen, sich vom Rest zu distanzieren, und umgekehrt. Die einen werden langweiliger und die anderen blöder.

Joachim Steinhöfel: Schlimm ist, dass die Zeit, in der sich die Masse damit beschäftigt, dass zehn Weiber auf den Kanarischen Inseln in einer Villa rumhocken, fehlt bei der Auseinandersetzung mit wichtigen politischen, gesellschaftlichen Themen.

TV SPIELFILM: : Immerhin gibt's Günther Jauch, den Messias der Rest-Intelligenz.
Oliver Kalkofe: Diese Quizshows sind doch einfach nur die Rückkehr des Bildungsbürgerfernsehens aus den 70er-Jahren. Man konnte Geld gewinnen, wenn man eine gute Schulbildung hatte. Später kam dann "Wer macht lustige Spiele mit?" und danach war es "Wer lässt sich foltern?" Jetzt kommt eben der Rückschritt.

Joachim Steinhöfel: Es ist wie in der Evolution. Da gibt es irgendeine Genkombination, die überlebt, und eine, die überlebt nicht. Wenn sie überlebt, vermehrt sie sich. Und so ist es auch mit diesen Sendungen.

Oliver Kalkofe: Mit dem Unterschied, dass in der Natur die Balance zwischen den Arten gehalten wird. So was ist bei den Medien nicht möglich, weil die Medien von Menschen gesteuert sind, die illusionslos sind und die ihre eigene Illusionslosigkeit an die Leute weitervermitteln wollen.

Joachim Steinhöfel: Ist das so schlimm?

Oliver Kalkofe: Es muss doch auch einen Mittelweg geben zwischen "Wir machen die alle mit Kultur so fertig, bis keiner mehr guckt" und "Wir senden die Leute blöde".

Joachim Steinhöfel: Es sagt ja keiner: "Wir senden die Leute blöde!" Die Leute sind blöde, und es wird das gesendet, was sie sehen wollen. Und wenn sie es nicht mehr sehen wollen, wird es nicht mehr gesendet. Das Prinzip funktioniert ganz einfach.

Oliver Kalkofe: Das glaube ich nicht. Traurig ist daran vor allem die totale Ideenlosigkeit, die dahinter steckt. Und die sich in allen anderen Medien fortsetzt. Wenn uns nicht sämtliche Zeitungen täglich die umgekippte Kaffeetasse bei "Big Brother" als das Mega-Ereignis des vergangenen Tages präsentieren würden, wäre es auch kein Gesprächsthema bei den Leuten. Das ist eine Art mediales Tiermehlfressen: man guckt es, BILD berichtet darüber, und alle anderen berichten über die Themen, die BILD vorgibt. Es kommt sicher bald zu einer Art TV-BSE.

Joachim Steinhöfel: Es gibt ja diesen Metzger-sohn, der Fernsehen macht, und das Krankheitsbild scheint mir da schon relativ weit fortgeschritten zu sein.

TV SPIELFILM: Zum Glück gibt es einen Fels in der Brandung, nämlich den "Grand Prix".
Joachim Steinhöfel: Es gibt ja in der Horror- literatur die Untoten. Und ich glaube, so ein Treffen der Untoten, die seit 300 Jahren geistig oder körperlich tot sind, findet am 2. März statt.

Oliver Kalkofe: Die Parodie hat sich selber kaputt gemacht. Der "Grand Prix" war immer eine hochseriöse, aufgeblasene Veranstaltung, wo es nötig war, etwas gegen zu setzen. Jetzt ist es nicht mehr lustig, weil der Grund für die Satire gar nicht mehr da ist.

TV SPIELFILM: Was muss noch passieren, damit Sie Ihren Fernseher abschaffen?
Oliver Kalkofe: Man sollte im Gegenteil überlegen, das Fernsehen wichtiger zu nehmen, weil das Fernsehen für den Großteil der Gesellschaft das Medium ist, wodurch sie wahrnehmen, was in der Welt geschieht. Die wenigsten haben die Möglichkeit, zu reisen und wirklich die verschiedenen Dinge zu erleben, die sie im Fernsehen eben sehen.

Joachim Steinhöfel: Wieso, die reisen doch alle nach Mallorca, und da lernt man den Spanier, wie er wirklich ist, ja auch gut kennen.

Oliver Kalkofe: Aber die Welt endet dann eben am Ballermann.

Joachim Steinhöfel: Da nimmt aber auch vielerlei Leben seinen Anfang. Das sollten wir nicht vergessen.

Oliver Kalkofe: Das Problem ist, dass das Fernsehen von den Intellektuellen immer verdammt wurde. Dadurch hat man die Leute viel zu sehr allein gelassen. Mich wundert, dass es zum Beispiel Fernsehen noch nicht als Schulfach gibt.

Joachim Steinhöfel: Da muss ich widersprechen, oder sollen die deutschen Lehrer etwa im Ernst das Fernsehverhalten der Jugend steuern?

TV SPIELFILM: Sie sind Jurist, sollte man Dummheit unter Strafe stellen?
Joachim Steinhöfel: Man kann nichts unter Strafe stellen, wenn man die Mehrheit der Bevölkerung internieren müsste.

Oliver Kalkofe: Stimmt. Plötzlich wäre ganz Deutschland vorbestraft.

---


Zurück zur Presseartikel-Auswahl