JS Rechtsanwälte Steinhöfel - Frango ut patefaciam

JS Rechtsanwälte Steinhöfel

Beobachtungen zum „Rechtsmissbrauch“

Nicht selten empfindet ein Unternehmen die Abmahnung eines Rechtsverstoßes durch einen Wettbewerber als ungerechtfertigte Zumutung, den eigenen Rechtsverstoß hingegen als bloße Petitesse. Während der Wechsel von der Täter- in die Opferrolle auf psychologisch nachvollziehbaren Gründen beruhen mag, soll der reflexartig gegenüber dem abmahnenden Verletzten erhobene Vorwurf des „Rechtsmißbrauchs“ ermöglichen, den für die Abmahnung angefallenen Kosten und der Rechtsverfolgung zu entgehen. Wenn das sture Festhalten an diesem Vorwurf über mehrere Instanzen erfolglos bleibt, verursacht dies allerdings regelmäßig weit höhere Kosten, als die vorangegangene Abmahnung selbst. Ungeachtet dieses Risikos berufen sich die Parteien wie auch deren Vertreter vielfach auf Entscheidungen „exotischer“, dh wettbewerbsrechtlich sonst kaum in Erscheinung tretender Gerichte. Auch dann, wenn die Berufung auf derartige – nicht immer widerspruchsfreie – Entscheidungen an anderen Gerichtsstandorten und in der Regel auch in den Instanzen kaum Erfolg verspricht.

So soll die Vergabe eines hohen eigenen Aktenzeichens durch einen Einzelanwalt bereits im Frühjahr einen Rechtsmißbrauch indizieren, weil dies auf eine entsprechend hohe Anzahl von Abmahnungen seit Jahresbeginn schließen lasse, LG Bückeburg, 2 O 62/08. Nach den sonstigen Angaben zum Sachverhalt, die den Schluß auf das Fehlen jeglicher (wettbewerbs-) rechtlicher Erfahrung zuließen, lag eher die fortlaufende Numerierung seit Beginn der Anwaltstätigkeit nahe.

Das LG Bonn hat bereits die Einleitung weniger Verfahren (nicht ganz ein Dutzend) binnen zwei Wochen als rechtsmißbräuchlich erachtet, LG Bonn, 12 O 157/07. Das UWG kennt allerdings kein Unwerturteil bei der nachhaltigen Verfolgung von Verstößen. Es ist daher legitim, wenn ein von einer Vielzahl von Wettbewerbsverstößen betroffenes Unternehmen gegen eine entsprechende Zahl von Verletzern vorgeht, vgl. zB OLG München, 6 W 2908/06, 29 W 2903/06; ebenso OLG Hamm, 4 U 16/09, OLG Frankfurt 6 U 129/06.

In vereinzelten Entscheidungen werden die Verwendung von Textbausteinen, die Vorformulierung einer Unterlassungserklärung oder die Angabe eines vermeintlich überhöhten Streitwertes als weitere „Indizien“ für einen Rechtsmißbrauch genannt. Ob eine Abmahnung unter Verwendung von Textbausteinen verfaßt wurde, oder nicht, ist belanglos. Bewährte Texte werden zweckmäßigerweise beibehalten, Abwandlungen aus stilistischen Gründen sind unnötig, so bereits OLG Hamburg 3 U 232/06. Die Vorformulierung einer Unterlassungserklärung bildet den Regelfall wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen. Im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die Höhe des Streitwertes haben der Verletzte und der Verletzer nahezu zwangsläufig unterschiedliche Vorstellungen. In Wettbewerbssachen kommt es jedoch nicht auf die Wunschvorstellungen des Beklagten, sondern auf die wirtschaftlichen Interessen des Klägers an, vgl. bereits BGH „Streitwertbemessung“ (Beschluß vom 22.04.1990; I ZR 58/89). Selbst wenn in einer Abmahnung ein überhöhter Streitwert angegeben werden sollte, liegt hierin in der Regel kein Indiz für einen Rechtsmißbrauch, vgl. OLG Jena, 2 U 929/07.

In einer 2004 veröffentlichten Entscheidung hat das OLG Nürnberg die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens vor Abschluß des Verfügungsverfahrens als rechtsmißbräuchlich erachtet, weil es „durchaus möglich“ sei, daß der Verfahrensgegner nach endgültigem Unterliegen im Verfügungsverfahren seine Verweigerungshaltung aufgebe und sich ohne ein weiteres gerichtliches Verfahren unterwerfe, 3 W 1324/04. Diese Entscheidung, die das Rechtsschutzbedürfnis des Verletzten einseitig in das Belieben des Verletzers stellt, ist zu Recht isoliert geblieben. Beide Wettbewerbssenate des OLG München erachten es als legitim und nicht als rechtsmißbräuchlich, die Hauptsacheklage vor Abschluß des Verfügungsverfahren zu erheben, wenn der Verletzer eine gegen ihn ergangene einstweilige Verfügung nicht als endgültige Regelung anerkennt, OLG München 6 U 5216/06 und 29 W 1460/07. Ebenso haben auch das Kammergericht (5 U 235/04), das OLG Hamburg (3 W 19/89) und das OLG Köln (6 W 4/09) entschieden.

Das Kammergericht hat Anfang 2008 die Ausnutzung des sog. „fliegenden Gerichtsstandes“ mit dem Ziel, den Rechtsstreit jeweils vor einem möglichst weit vom Sitz des Gegners entfernten Gericht zu führen, als rechtsmißbräuchlich beurteilt, KG 5 W 371/07. Die Entscheidung darf allerdings nicht dahin mißverstanden werden, daß die Wahl eines vom Sitz des Gegners weit entfernten Gerichts als solche rechtsmißbräuchlich wäre. Es ist in Wettbewerbsstreitigkeiten weder ungewöhnlich noch zu beanstanden, wenn der angreifende Wettbewerber den „fliegenden Gerichtsstand“ dazu nutzt, das zur Rechtsdurchsetzung am meisten Erfolg versprechende Gericht auszuwählen. Dem dortigen Antragsteller ging es jedoch nach Ansicht des Kammergerichts nicht um die Wahl eines im Hinblick auf die Spruch- oder Verfahrenspraxis günstigen Gerichts. Die Gegner wurden vielmehr auch dann möglichst weit von ihrem Wohn- und Geschäftssitz entfernt angegriffen, wenn ein Gericht näher gelegen war, daß der Gläubiger in Parallelfällen bevorzugte. Von dieser Konstellation abgesehen, stellt die Wahl eines Gerichtsstandortes, der vom Sitz des in Anspruch genommenen Verletzers weit entfernt ist, kein Indiz für einen Rechtsmißbrauch dar.

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