Redtube
Eine Massenabmahnwelle rollt durch Deutschland. Im „Redtube-Fall“ soll es sich um mehr als 10.000 Betroffene handeln, die angeblich ein Streaming-Portal mit pornographischen Angeboten genutzt haben. Von den Betroffenen wird gefordert, 250 Euro zu zahlen und eine Unterlassungserklärung abzugeben.
Der Fall ist zwar schon aufgrund der Masse der Abmahnungen spektakulär. Noch bemerkenswerter sind aber zwei andere Aspekte: Es ist bis heute vollkommen unklar, wie die IP-Adressen der angeblichen Nutzer überhaupt ermittelt wurden. Und mindestens ebenso unklar ist, ob bei der Nutzung eines Streaming-Portals überhaupt eine urheberrechtlich unzulässige Vervielfältigung geschützten Materials erfolgt. Denn während beim File-Sharing eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung stattfindet, ist dies beim Streaming alles andere als eindeutig. Es ist in keiner Weise rechtlich geklärt, ob Streaming eine Urheberrechtsverletzung darstellen kann.
Bisher konnten sich die Abmahner noch darauf stützen, daß das LG Köln in der Nutzung des Streaming-Angebots von Redtube eine unzulässige Vervielfältigung gesehen habe. Richtig ist aber nur, daß das LG Köln in einer Reihe von Fällen Beschlüsse erlassen hat, mit denen Provider verpflichtet wurden, die Namen und Anschriften von Personen herauszugeben, die angeblich über deren IP-Adresse als Nutzer des Streaming-Portals Redtube ermittelt wurden. Erst durch die massenhafte Herausgabe dieser Nutzerdaten wurde es möglich, Tausende von Abmahnungen zu verschicken.
Nun zeichnet sich offenbar ein roll-back ab: Einige Kammern des LG Köln haben sich be-reits dahin geäußert, daß die Beschlüsse zu Unrecht ergangen sein könnten. Damit könnte sich die rechtliche Beurteilung durchsetzen, mit der verschiedene Kammern des LG Köln das Auskunftsbegehren zurückgewiesen haben (so etwa LG Köln, Az. 228 O 173/13 und 214 O 190/13, vgl. die Presseerklärung des LG Köln).
Das LG Köln wird die Beschlüsse allerdings nicht von sich aus aufheben, sondern nur auf ein entsprechendes Rechtsmittel der Betroffenen. Aber auch wenn die Beschlüsse aufgehoben werden, wäre dies nur ein erster Teilerfolg. Die Abmahner verfügen inzwischen über die Namen und Anschriften zu den IP-Adressen. Die IP-Adresse dient nun als vermeint-licher Nachweis dafür, daß die betreffenden Personen Redtube genutzt haben.
Wer eine Abmahnung erhalten hat, aber nicht bereit ist, freiwillig 250 Euro zu zahlen und eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, ist daher bisher dem Risiko einer Klage aus-gesetzt. Für eine solche Auseinandersetzung kommt vor allem auf zwei entscheidende Punk-te an:
1. Greift zu Gunsten der – vermeintlichen oder tatsächlichen – Nutzer ein gerichtliches Verwertungsverbot bzgl. der IP-Adressen ein?
Wenn ja, fehlt den Abmahnern die Möglichkeit, den Betroffenen die Nutzung von Redtube nachzuweisen. Für ein Verwertungsverbot genügt es noch nicht, daß Beweismittel illegal beschafft wurden. Selbst der Diebstahl von Unterlagen führt nicht automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot. Aber die IP-Adresse gilt als personenbezogenes Datum und ist besonders schutzwürdig. Auch die freie und selbstbestimmte Nutzung des Internets ist ein hohes Gut. Wer Angst vor einer permanenten Überwachung im Internet haben muß, ist in dieser Freiheit eingeschränkt. Dies spricht dafür, die rechtswidrige Ermittlung von IP-Adressen als Persönlichkeitsrechtsverletzung zu beurteilen, die gravierend genug ist, um ein Beweisverwertungsverbot zu rechtfertigen. Scheidet aber die IP-Adresse als Beweismittel aus, dürfte es den Abmahnern schwerfallen, die Nutzung von Redtube nachzuweisen.
2. Aber selbst wenn dieser Nachweis gelingt, bleibt die weitere ungeklärte rechtliche Frage: Liegt bei Nutzung eines Streaming-Portals überhaupt ein Urheberrechtsverstoß vor?
Die Abmahner stehen auf dem Standpunkt, beim Abrufen des Streams erfolge eine Zwischenspeicherung auf dem PC des Nutzers. Dies sei als urheberrechtliche Vervielfältigung anzusehen, die ohne Zustimmung des Rechteinhabers rechtswidrig sei.
Das Urhebergesetz enthält jedoch eine Regelung für Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch. Danach dürfte der Abruf eines Streams von Redtube zulässig sein, da die dortigen Inhalte jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig öffentlich verbreitet werden. Der Betreiber von Redtube erklärt, auf Urheberrechtsverletzungen sofort zu reagieren. Selbst wenn dies nicht in 100% aller Fälle zutreffen sollte, kann den Nutzern kaum unterstellt werden, es sei offensichtlich gewesen, daß die bei Redtube abrufbaren Inhalte rechtswidrig verbreitet werden.